NDR Bericht

Eine lebensrettende Erfindung aus Husum

von Sebastian Parzanny

Noch heute bekommt Ernst Nicol leuchtende Augen, wenn er von seiner Erfindung erzählt: dem unsinkbaren Rettungsboot. Begeistert von Schiffen war er schon als Kind. Nach dem Krieg begann der heute 92-Jährige eine Ausbildung auf der Werft seiner Geburtsstadt Flensburg, wenig später wechselte er nach Husum, wurde dort zum Ingenieur ausgebildet. Zunächst plante er den Bau von Schiffen, die zum Beispiel auf der Flensburger Förde fuhren. Doch Anfang der 1950er-Jahre las er dann in der Zeitung fast täglich von Schiffsunglücken mit Ertrunkenen: „Das fand ich schrecklich und dachte mir: Da muss man doch etwas tun können.“ Fest stand: Die aufblasbaren Rettungsboote, die damals Standard waren, sanken. „Da kam ich ins Überlegen, ob man nicht etwas ganz anderes entwickeln könnte.“ Nicol trug diesen Gedanken einige Zeit mit sich herum, machte nach seiner Arbeit bei der Husumer Werft einige Skizzen. Eine richtige Idee hatte er aber nicht.

Unsinkbar: Eine Erfindung, die bis heute Leben rettet

Es sollte schwimmen, wie eine Blechdose

„Eines Tages saß ich in meinem Büro und guckte raus auf den Hafen Husum. Da sah ich, wie eine alte, leere Blechdose im Wasser schwamm. Sie war oben offen, trieb aber auf der Wasseroberfläche. Da wurde mir schlagartig klar, wie ich es mache“, erzählt der rüstige Rentner noch immer begeistert. Einer Blechdose nachempfunden entstanden dann erste Zeichnungen. Komplett geschlossene Rettungsboote galten damals als gefährlich. Nicol war schnell klar, dass er dafür niemals eine Genehmigung bekommen würde. Also konstruierte er „halboffen“: Mit einem Dach, das im Notfall, ähnlich wie bei einem Cabrio, geöffnet werden konnte. Wenn die Besatzung drin ist, kann es wieder geschlossen werden.

Zulassung dauert fünf Jahre

Sein Arbeitgeber hatte kein Interesse daran, diese Idee umzusetzen. Also machte er sich nebenbei selbstständig, gründete gemeinsam mit seiner Frau die Firma „Nicol Rettungsboote“. Alles was die beiden fortan taten, machten sie neben Arbeit und Familie. „Samstags und sonntags bin ich immer sehr ausgiebig mit den Kindern rausgegangen, damit mein Mann in Ruhe arbeiten konnte“, erzählt Nicols Frau Helene. Sie hat sich in der kleinen Firma hauptsächlich um die Korrespondenz gekümmert. Nachdem 1955 das Patent eingetragen war und Ernst Nicol mit der Firma Brüning an der Weser schließlich eine Werft fand, die einen Prototypen baute, dauerte es weitere fünf Jahre bis das erste Modell zugelassen wurde: „Das war ein unglaublicher Papierkrieg“, erinnert sich seine Frau. Der Erfinder selbst sieht es rückblickend gelassen: „Ich habe einfach immer Spaß am Entwickeln gehabt und schließlich ging es um die Sicherheit der Menschen.“

Ein langer Weg

1960 wurden auf der Internationalen Seeschifffahrts Konferenz in London erstmals geschlossene Rettungsboote international zugelassen. Eigentlich ein Durchbruch. Pflicht wurden sie aber nicht. Die meisten Werften und Reedereien verzichteten weiterhin auf die neue Erfindung: „Die wollten damals für die Sicherheit ihrer Leute nicht viel ausgeben,“ sagt Ernst Nicol.

Erst 1983 wurde das geschlossene Rettungsboot schließlich internationaler Standard auf Kreuzfahrt- und Frachtschiffen. Doch zu dem Zeitpunkt besaß der Husumer Ingenieur schon gar nicht mehr das Patent. Das Geld verdienten andere. Heute findet man Nachfolgemodelle, die auf seiner Idee basieren zum Beispiel an Bord der „Queen Mary 2“ oder auf der „Color Fantasy“. „Natürlich macht mich das stolz und schließlich wurden durch meine Idee viele Menschenleben gerettet“, sagt Ernst Nicol.

Das Bundesverdienstkreuz am Bande, das Ernst Nicol verliehen wurde

Das Bundesverdienstkreuz am Bande, das Ernst Nicol verliehen wurde

Bundesverdienstkreuz für den Erfinder

Sonderausstellung: „Unsinkbar“

Die Sonderausstellung „Unsinkbar“ ist bis zum 29. Mai 2016 im Schifffahrtmuseum Flensburg zu sehen. Das Museum direkt am Hafen ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 6 Euro.

Vor zwei Jahren wurde Ernst Nicol mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In der Ausstellung „Unsinkbar“, die am Sonntag im Flensburger Schifffahrtsmuseum eröffnet, werden jetzt Original-Baupläne, Briefe, Patente, Modelle und vieles mehr ausgestellt. Es gibt quasi das gesamte Lebenswerk von Nicol zu sehen. „Unglaublich, was alles so zusammengekommen ist“, sagt er selbst überrascht. Er und seine Frau waren die ersten, die die Ausstellung vorab besichtigen durften.

Trotz seiner lebenslangen Begeisterung, fährt er selbst nicht mehr auf großen Schiffen, die mit geschlossenen Rettungsbooten ausgestattet sind. „Da bin ich jetzt zu alt für“, meint Ernst Nicol. „Aber eine Tour über die Flensburger Förde mit einem Ausflugsschiff nach Glücksburg, das sollten meine Frau und ich bald mal wieder machen“, sagt er lächelnd.